Die ganze Geschichte des Haspengaus

Aus Bohrungen und aus Gesteinsaufschlüssen in einigen tiefer eingeschnittenen Tälern westlich des Hespengaus weiß man, dass seine flach liegenden Kreidekalksteine von sehr viel älteren Schiefern und Sandsteinen der Kambrium- bis Silur-Zeit (541 bis 420 Mio Jahre vor heute) unterlagert werden. Derartig alte Gesteinskomplexe treten in der Euregio Maas-Rhein sonst nur noch in den sogenannten „alten Massiven” des Hohen Venn und der Ostardennen an die Tagesoberfläche. Dementsprechend bezeichnen die Geologen auch das alte Fundament des Hespengaus und der westlich anschließenden Gebiete Brabants als „Brabanter Massiv”.


Die Zeit der Steine im Hespengau
Die Zeit der Steine im Hespengau

Die Zeit der Steine

Entstanden sind diese ältesten Gesteine des Brabanter Massivs aus sandigen und tonigen Sedimenten eines in Schwellen und Tröge gegliederten Meeresbeckens. Aus der Ordovizium-Zeit sind auch bedeutende vulkanisch entstandene Gesteinsfolgen bekannt. Gegen Ende der Silur-Zeit, vor 420 Mio Jahren, wurden diese Sandsteine, Tonsteine und Vulkanite durch tektonischen Zusammenschub gefaltet und geschiefert (Kaledonische Faltung) und dadurch Teil eines ausgedehnten Festlands, das wegen seiner roten Verwitterungsbildungen als Old Red-Kontinent bezeichnet wird.

Auch nach Abtrag und Einebnung der Gebirgszüge des Old Red-Kontinents im Verlauf der Unterdevon- und frühen Mitteldevon-Zeit blieb dessen Kern noch Festland. Erst im Verlauf der späten Mitteldevon- und Oberdevon-Zeit und in der Zeit des Unterkarbons bildeten sich in seinen randlichen Bereichen küstennahe sandige Ablagerungen und marine Flachwasserkalksteine. Auch während der Oberkarbon-Zeit blieb es bei dieser tektonischen Hochlage, während südlich (Sambre-Meuse-Zone) und nördlich (Campine) mächtige Tonstein-Sandstein-Folgen mit Kohleflözen akkumulierten.

Zu einer ersten flächendeckenden marinen Bedeckung des kambro-silurischen Sockels des Hespengaus kam es erst im Rahmen eines weltweiten Meeresspiegelanstiegs in der späten Kreide-Zeit (nach 85 Mio Jahren vor heute). Es bildeten sich weit verbreitet Kalkschlämme, aus denen ähnlich wie im östlich anschließenden Südlimburgischen Hügelland feuersteinführende Kreidekalksteine (Gulpen- und Maastricht-Formation) hervorgingen. Zeitlich werden diese Sedimente wie dort nach ihrem Fossilinhalt der jüngeren Campan-Stufe und der Maastricht-Stufe zugeordnet.

Im Verlauf der Tertiär-Zeit (zwischen 65 und 2,5 Mio Jahre vor heute) waren der Hespengau und seine Nachbargebiete noch mehrfach Schauplatz mariner Überflutungen zunächst aus westlicher, dann aus nördlicher Richtung. So überdeckten in der frühen und Mittleren Tertiärzeit zuerst Kalksandsteine und später Küstensande und marine Tone die Oberkreide-Kalksteine (u. a. Landen-, Tongeren- und Rupel-Formation). Aus der jüngeren Tertiär-Zeit sind wieder besonders reine Quarzsande überliefert.


Die Zeit des Reliefs im Hespengau
Die Zeit des Reliefs im Hespengau

Die Zeit des Reliefs

Noch vor Beginn der Quartär-Zeit wurde das Gebiet des Hespengaus im Zusammenhang mit dem beginnenden Aufstieg der Ardennen leicht angehoben, im Süden stärker als im Norden. Dadurch zog sich das Tertiär-Meer nach Norden bis zu einer Linie Antwerpen-Eindhoven zurück. Im Süden legten Bäche und Flüsse das Oberkreide-Deckgebirge frei und führten auch zur Verkarstung seiner Kalksteine. Heute ist das Kreideplateau mit einer durchgehenden Löss-Schicht der letzten Kaltzeit (Weichsel-Kaltzeit) bedeckt. Im etwas tiefer gelegenen nördlichen Teil des Hespengaus blieb dagegen die ursprüngliche Überdeckung der Kreidekalksteine mit tertiärzeitlichen Sand- und Tonablagerungen erhalten. Sie staut das Niederschlagwasser und das Gebiet weist heute ein deutlich dichteres Entwässerungsnetz auf als das Kalksteinplateau im Süden.


Die Zeit der Menschen

Frühe Siedlungsspuren von Menschen fanden sich im südlichen Hespengau bei Harduémont nördlich von Lüttich. Dort wurden die Grundmauern einer Siedlung von Bandkeramikern der frühen Jungsteinzeit ausgegraben. Damals und sicher auch noch bis in die keltisch-römische Zeit hinein bestand im größeren Teil des Hespengaus wohl ein geschlossener Eichen-Buchenwald.

Bevor die Römer unter Julius Caesar nach 54 v. Chr. das Gebiet endgültig eroberten, lebten hier die keltischen Eburonen. Nach heftiger und zunächst auch erfolgreicher Gegenwehr wurden die Eburonen von den römischen Legionen vernichtend geschlagen. Ihnen folgte der aus Osten zugewanderte Stamm der Tungerer. Noch vor Christi Geburt ging aus einem Heerlager an der römischen Fernstraße von Köln nach Boulogne-sur-Mer die zivile Siedlung Atuatuca Tungrorum hervor. Als spätere Stadt Tongeren lag sie an einem wichtigen Straßenkreuz und entwickelte sich nach Köln zum bedeutendsten Ort der römischen Provinz Germania inferior.

Seit Anfang des 4. Jahrhunderts war Tongeren Bischofsitz, der aber an der Wende zum 7. Jahrhundert nach Maastricht und später nach Lüttich übersiedelte. So gehörte der östliche Teil des Hespengaus bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zum Fürstbistum Lüttich. Der Westen war seit dem 12. Jahrhundert Teil des Herzogtums Brabant.

Während im Hochmittelalter in Lüttich durch den Bau von prächtigen Kirchen und eines fürstbischöflichen Palastes ein monumentales Stadtzentrum entstand und Maastricht im Laufe der Zeit durch Handel mit ganz Europa zu großem Reichtum kam, blieb das weite Land des Hespengaus ein eher bäuerlich geprägter Raum mit Ackerbau und Viehzucht, mit Dörfern und nur kleineren Städten. Als solcher war das Gebiet auch im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit von den vielen politisch und religiös motivierten Unruhen und Kriegen seiner Umgebung betroffen. Nacheinander wurde es burgundisch, habsburgisch, spanisch und niederländisch.

Nach dem Ende der französischen Okkupation 1815 wurde der Hespengau dann zunächst Teil der niederländischen Provinz Limburg. Seit Gründung des Königreichs Belgien 1831 gehört er zur belgischen Provinz gleichen Namens. Heute verläuft hier die Grenze zwischen dem flämisch-niederländischem Sprachgebiet im Norden und dem wallonisch-französischen Kulturraum im Süden.

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts blieb es zunächst bei der überwiegend landwirtschaftlichen Nutzung der fruchtbaren Lössböden der südlichen Kalksteingebiete des Hespengaus durch den Anbau von Weizen, Gerste, Kartoffeln und Zuckerrüben und bei der Bewirtschaftung der feuchteren sandig-lehmigenTertiär-Gebiete im Norden als Grünland und mit Obstanbau. Örtlich kam es daneben aber auch zur Nutzung anderer natürlicher Ressourcen wie z. B. zur Zementherstellung in Kalksteinbrüchen bei Lixhe und Haccourt im Osten oder zeitweilig auch zur Phosphatgewinnung aus Kreidekalksteinen um Herbesthal.

Nach den beiden großen Europäischen Weltkriegen begünstigte die freie Plateaulandschaft des Hespengaus den Bau von Autobahnen und Hochgeschwindigkeitstrassen und gleichzeitig auch das Wachstum seiner Dörfer und Städte als Wohnplätze für Auspendler in die umliegenden Wirtschaftszentren. Zugleich gilt das Gebiet mit seinen über das Land verstreuten Burgen, Abteien und Schlössern, mit seinen mittelalterlich-frühneuzeitlich geprägten Stadtkernen und mit seiner keltisch-römischen Geschichte aber auch als eine touristisch besonders attraktive Kulturlandschaft.

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